Eine Schule für Schneider/innen Teil 2, der Reisebericht
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Aus dem 1. Teil wisst ihr schon was FerryBengal ist. Jetzt bekommt ihr, wie versprochen, einen kleinen Reisebericht.

An den Wänden des Klassenzimmers stehen etwa 15 Nähmaschinen. Sie alle funktionieren ohne Strom. Ich hatte damit schon gerechnet. Bisher war mir in Indien noch keine elektronische Nähmaschine über den Weg gelaufen. Das ist auch völlig in Ordnung. Da hier ständig der Strom ausfällt, ist es sogar sehr praktisch. Das Problem an der Sache ist, dass ich daran nicht nähen kann. Und ich soll hier zwei Tage unterrichten. Zuhause habe ich eine große elektronische Maschine mit 200 unnötigen Funktionen. Diese hier können vorwärts und rückwärts nähen.

Es ist später Vormittag im Februar 2017. Ich warte auf meine Schülerinnen. Bei mir ist Sumanto, er ist der Sohn des Priesters hier in Rampurhat und soll für mich übersetzen, da die Frauen nur sehr wenig oder gar kein Englisch sprechen. Sumanto spricht sehr gut und freut sich, sein Englisch an mir auszuprobieren.
Um 11 Uhr soll es losgehen. Mit den Leitern des Projekts hatte ich überlegt, über westliche Mode zu sprechen und Arbeitstechniken zu zeigen. Ich habe nur keine Ahnung in wie weit ich das umsetzen kann.

Nach und nach treffen die Frauen ein. Eine hat ihr Baby dabei. Alle sehen mich erwartungsvoll an. Ich falle auf. Im Vergleich zu ihnen bin ich kalkweiß und großgewachsen. Das passiert mir in Deutschland nicht. Sumanto schiebt mir einen Stuhl vor die Kreidetafel. Die Frauen setzen sich auf den Boden. Mir kommt es seltsam vor, obwohl es hier normal ist, dass der Lehrer eine höhere Position einnimmt.
Ich bin inzwischen sehr nervös. Sumanto stellt mich der Klasse vor, und ich beginne auf Englisch zu reden. Mein Dolmetscher übersetzt auf Bengalisch.

Ich berichte, was Frauen im Westen typischerweise anziehen und zeige ein paar Beispiele aus meinem Koffer. Natürlich kennen sie westliche Kleidung, müssen aber doch kichern, als ich ihnen erzähle das Frauen im Büro einen Minirock anziehen dürfen oder auf offener Straße in Hotpants und im Spagetti-Top rumlaufen. Das können sie sich nicht vorstellen. Und dann auch noch ohne Schultertuch, wo bleibt den da der Anstand? In den Großstädten des Subkontinents tragen viele junge Frauen Jeans und T-Shirts. Oder sie kombinieren die Jeans mit der traditionellen Kurti, einer Tunika. So kommt der Westen auch hier immer mehr durch. Ich hoffe jedoch, dass sich die Frauen hier noch lange ihre traditionelle Kleidung bewahren.

Wir sprechen auch viel über das Internet. Wie man auf Facebook seine Produkte verkaufen kann – und wir suchen auf Youtube nach Arbeitsanleitungen für bestimmte Techniken. Ich möchte auch hier betonen, dass das Internet kein Fremdwort ist. Ich zeigte ihnen nur bisher weniger bekannte Zusatzmöglichkeiten. Fast jede der Teilnehmerinnen hat ein internetfähiges Handy. Kein Apple- oder Samsung-Gerät, sondern meist einfachere indische Modelle.
Die jüngeren Frauen aus dem Kurs zeigten mir stolz ihre Telefone und baten mich um Selfis. Wahrscheinlich bin ich jetzt auf vielen Facebook Fotos mit dem Titel “me and Ma’am Teacher”.
Es ist in Indien üblich, Leute mit Ma’am oder Sir und ihrem Berufsstand anzusprechen, wenn man den Namen nicht weiß. Und mein Name ist hier noch schwerer zu merken als in Europa. So bin ich nun in Rampurhat als Ma’m Teacher aus Deutschland bekannt.

Am zweiten Tag ging es an die Nähmaschinen. Ich hatte Schnittmuster und Stoffe mitgebracht. Es galt, in Gruppenarbeit verschiedene Schwierigkeiten zu üben. Gruppe Eins bekam ein Top an dem sehr genaue Rechts-Links-Nähte gemacht werden mussten. Gruppe Zwei übte an einem Rock einen Nahtreißverschluss einzusetzen und Gruppe Drei sollte aus einem elastischem Stoff eine Strickjacke nähen. Wer schon mal selbst genäht hat weiß, dass all dies echte Herausforderungen sind. In den Gruppen hatten alle viel Spaß und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen.

Es waren unglaublich spannende Tage in Rampurhat. Seit meinem ersten Kurs im letzten Jahr bin ich noch einmal für einen zweiten Kurs dort gewesen. Und sobald ich kann, werde ich wieder mit FerryBengal zusammenarbeiten, damit noch mehr Frauen die Chance auf eine echte Zukunft haben.

© Green Size, Lübeck

Zuletzt noch ein wenig Werbung: Bei FerryBengal ist jeder herzlich willkommen. Wenn ich dein Interesse geweckt habe, dieses Projekt in irgendeiner Form zu unterstützen, stelle ich sehr gerne die Kontakte her. (Bitte keine Spenden über mich, nur den Kontakt.)

 

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