Die Idee zu einem neuen Kleid kommt meist spontan. Ich habe deshalb fast immer einen Notizblock bei mir. Manchmal sehe ich Menschen auf der Straße und mir gefällt wie sie sich angezogen haben.
Ich denke dann meistens, so was würde mir auch gefallen, nur müsste ich dieses und jenes verändern. Hier etwas länger, ein anderer Ausschnitt, andere Farbe und schon sitze ich mit meinem Block in der Hand und male meine Idee auf das Karo-papier.
Das ist aber nur der erste Schritt und es ist nie bei dem ersten Entwurf geblieben.
Zuhause, in meiner kleinen Werkstatt mache ich erste technische Zeichnungen. Das sind Bilder, auf denen die Nähte, Abnäher, Falten u.s.w. eingezeichnet werden. Wo kommt der Reißverschluss hin? Oder lieber Knöpfe? Bei diesen Überlegungen beziehe ich die Fähigkeiten unserer indischen Näherinnen von Calcutta Rescue mit ein. Knopflöcher sind schwierig und dauern lange. Da es ihnen an technischen Hilfsmitteln fehlt, müssten sie alle Knopflöcher per Hand nähen.
All das muss schon ganz am Anfang bedacht werden und gegebenenfalls mit Alternativen gearbeitet werden. Statt einem Knopfloch geht vielleicht eine Schlaufe?
Als nächstes erstelle ich ein Schnittmuster in meiner Größe. Dabei entdecke oft schon die ersten Fehler in meinem Design. Unpraktische Handhabung, Komplizierte Details, die auch einfacher gehen… Vom ersten Design auf der Straße ist hier schon wenig übrig. Aus meinem Schnittmuster nähe ich ein Probestück. Ein erstes Muster. Ich ziehe es an und mache praktische Tests. Wie bequem ist es, kann ich damit Radfahren, stören die Nähte auf der Vorderseite? Die Veränderungen zeichne ich auf dem Schnitt ein, bis alles passt. Das kann gut und gerne einen ganzen Tag dauern, bis ich mit allem zufrieden bin. Das neue Kleidungsstück bekommt jetzt eine kurze Auszeit. Über Nacht hat man ja bekanntlich neue Ideen und so ist es mehr als einmal vorgekommen, das der Prozess, den ich eben beschrieben habe, von Vorne los geht. Beim Einschlafen kam mir die Idee, den Saum zu verändern, eine andere Kragenform zu nehmen und was habe ich mir eigentlich bei den Ärmeln gedacht?
Damit verbringe ich den zweiten Tag.
Endlich bin ich rundum glücklich.
Das Kleidungsstück ist perfekt und das Schnittmuster enthält alle Änderungen. Den dritten und vierten Tag verbringe ich damit das Schnittmuster in die verschiedenen Größen zu skalieren. An Tag Funf bis Sechs nähe ich von jeder Größe ein Probestück und ziehe es meinen Freundinnen an. Das ist ein spannender Moment, da meine Freunde jetzt zum ersten mal die neue Idee sehen und ich ein erstes Feedback bekomme. Wie sieht das Modell in Größe 42 aus? Passt es? Betont der Schnitt womöglich Körperstellen, die die spätere Kundin lieber versteckt haben möchte?
Und ist es in 44 immer noch bequem?
Das Skalieren und die Anpassungen können lange dauern. Ich muss viele Dinge berücksichtigen und meinen Frauen dabei gut zuhören. Ich möchte Wohlfühlmode machen, die sowohl schön und praktisch ist.
Wenn das alles geschafft ist, geht es an die weitere Planung. Wie viel und welchen Stoff brauche ich pro Modell? Welchen Reißverschluss, Gummiband, Nähgarne, und so weiter… Auch Fragen der Nachhaltigkeit kommen mit in die Planung: Wie kann ich die Schnittmuster auf dem Stoff auflegen um möglichst viel Material zu sparen? Was kann ich aus den Resten machen? Zero Waste-Gedanken sind immer mit dabei. So sind zum Beispiel die Stirnbänder entstanden. Oder die kleinen Schmucktäschchen, die ich bei Schmuckbestellungen den Kunden mitgebe.
Bis hierhin verläuft die Designerstellung meistens gleich. Die Produktion funktioniert im Moment noch auf zwei Ebenen. Die Jersey-kleider nähe ich noch selbst in meiner Werkstatt, da die Inderinnen noch nicht so geübt sind, dieses schwierige Material zu verarbeiten. In ein oder zwei Jahren werden sie es aber können und die gesamte Produktion übernehmen.
Alle Designs, die ich nicht selber nähe, bringe ich bei meiner jährlichen Reise nach Kalkutta mit und wir üben gemeinsam vor Ort wie man die Modelle näht, worauf zu achten ist und ich zeige ihnen gegebenenfalls neue Techniken. Oft genug bringen sie mir auch was neues bei.
In Kalkutta kaufe ich auch vor Ort die Stoffe in einer GOTS-zertifizierten Fabrik ein. Ist alles beisammen sehe ich oft erst Monate nach der ersten Idee das fertige Kleidungsstück im Originalstoff, wenn die guten Seelen von Calcutta Rescue das erste Kleid genäht haben.
Der Moment ist, nach wochenlanger Planung, Kopfzerbrechens und Umwerfen von Ideen, die Geburt der Kollektion. Wenn zum Schluss das kleine Etikett mit meinem Logo eingenäht wird und ich die magischen Worte von der Näherin höre: „Sister, look! Is it good?“ (Schwester, schau! Ist es gut so?)